Wir freuen uns, Ihnen in regelmässigen Abständen die Kulturnachrichten zustellen zu dürfen.

- Diese Veranstaltung hat bereits stattgefunden.
Tabea Steiner
Sonntag 24. September 2023 / 11:15
10 CHF – 15 CHF
In ihrem zweiten Roman «Immer zwei und zwei» (edition bücherlese) erzählt Tabea Steiner die Geschichte von Natali, einer jungen Frau, die mit ihrer Familie in einer religiösen Gemeinschaft lebt, in der klare Regeln gelten, die den Menschen zwar Halt geben, sie als Individuum jedoch verkümmern lassen. Als sich dann Natali in eine Frau verliebt, beginnt ein schwieriger Weg.
Strikte Regeln und ein patriarchales System bestimmen den Alltag von Tabea Steiners Protagonistin Natali, die mit ihrem Mann und den zwei Kindern in einer Freikirche aktiv ist. Sex vor der Ehe ist verpönt, der Mann gilt als Oberhaupt der Familie, und der Leiter in der Sonntagsschule bereitet Natalis Töchtern Suli und Abi mit seiner Beschreibung eines strafenden Gottes schlaflose Nächte. Andererseits bietet die Gemeinschaft der Freikirche auch Sicherheit: Die Mitglieder helfen und unterstützen einander – sofern sich alle an die klaren Vorschriften halten und nicht ausscheren. Doch Natali fühlt sich in diesen engen Strukturen zunehmend in ihrer Freiheit eingeschränkt. Aufgerieben zwischen ihren verschiedenen Rollen als Mutter, Lehrerin, Bildhauerin und Gemeindemitglied, müde geworden von den Erwartungen ihres Mannes Manuel und der Freikirche, sucht sie einen Ausweg aus ihrem festgefahrenen Leben. In der Gemeinschaft gilt sie als die «Eigenwillige», weil sie sich nie so ganz unterordnen mochte. Natalis innere Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit verstärkt sich zunächst, als sie die Theologin Kristin kennenlernt und sich zwischen den beiden Frauen eine Liebesgeschichte anbahnt – in der Welt der Freikirchler eine unmögliche Vorstellung. Doch durch Kristin kommt auch einiges in Gang: Natali wagt einen Ausbruch, auch wenn Manuel komplett überfordert mit der Situation ist und ihr die Kinder wegnehmen will.
Die 42jährige Thurgauer Schriftstellerin und Literaturveranstalterin Tabea Steiner ist selbst im Umfeld einer konservativen Freikirche aufgewachsen und kennt die Strukturen von innen. Mit ihrem Roman «Immer zwei und zwei» gelingt es ihr, das starre Gefüge einer solchen Gemeinde auszuloten, ohne dabei anzuklagen. Sie erzählt nüchtern und lässt gekonnt Leerräume offen, die erahnen lassen, wie sich das Leben in einer streng religiösen Gemeinschaft anfühlt. Vieles spielt sich zwischen den Zeilen ab, etwa wenn Natalis Kirchenfreundin Rosalie ihr erzählt, wie ihr letztes Date mit einem Mann abgelaufen ist: «Er hat sich keinen Moment Zeit genommen, um nachzudenken, sondern sofort alles eingepackt, sogar die Pralinen, die er mitgebracht hat. Er wolle keinen angebissenen Apfel.» Auch Natali selbst hatte sich einst mit ihren Eltern überworfen, weil sie nicht jungfräulich in die Ehe mit Manuel gegangen ist. Seither hat sie keinen Kontakt mehr zu ihnen. Diese Bruchstücke aus Gegenwart und Vergangenheit, die Tabea Steiner in ihren Roman einstreut, fügen sich nach und nach zu einem Gesamtbild zusammen. Es zeigt, dass diese Gemeinschaft den Menschen wenig Raum für Individualität lässt und regelwidriges Verhalten mit Ächtung und Ausschluss bestraft wird. Die Autorin erzählt diese Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven, legt den Fokus aber auf Natalis Sichtweise und ihren Weg in die Freiheit. Nach dem Debüt «Balg» über eine dysfunktionale Familie, das für den Schweizer Buchpreis nominiert war, kann Tabea Steiner auch mit ihrem zweiten Roman überzeugen. (Babina Cathomen im Kulturtipp 11 23)
Tabea Steiner, Jahrgang 1981, lebt und arbeitet in Zürich.
–
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Aargauer Literaturhaus. Das Café littéraire ist eine Veranstaltungsreihe der Kulturkommission Lenzburg in Kooperation mit dem Aargauer Literaturhaus.